Schusslinie
Mit ligne de mire richtet das mudac sein Augenmerk auf die Welt der Feuer- oder Schusswaffen, ein empfindliches gesellschaftliches Sujet, das auf kritische und gezielte Weise durch das Prisma des Designs und des zeitgenössischen Kunstschaffens betrachtet wird. Die erste Ausstellung dieser Art in der Schweiz fragt nach unseren paradoxen Beziehungen zu diesen mehrdeutigen Objekten, die ebenso faszinierend wie abstossend, triebbezogen und mörderisch sind.
Das mudac ist ein Museum für Design, das regelmässig hemenausstellungen über gesellschaftsbezogeneSujets veranstaltet, die teilweise heikel sein können. Direkter Appell an den Besucher, Überraschung und vor allem das Bestreben, Reflexionen auszulösen, standen im Zentrum mehrerer Ausstellungen wie Cache-cache camouflage 2002, Coup de sac. Art et design autour du sac plastique 2013, Nirvana. Les étranges formes du plaisir 2015 und Sains et saufs. Surveiller et protéger au 21e siècle 2016. Das Projekt ligne de mire, das auf zweijährigen Recherchen und zahlreichen Zusammenarbeiten beruht, teilt dieselben Ziele.
In der Konzeption der Feuerwaffen spielt der Designer eine zentrale Rolle, und das Design hat eine ganz besondere Funktionalität. Eine Waffe ist in erster Linie ein Mittel, das einem Zweck dient: Sie
ist dazu da, jemanden oder etwas möglichst effizient auszuschalten. Sie hat zuverlässig, kompakt, leicht, ergonomisch, dauerhaft, manchmal ästhetisch ansprechend und immer intelligenter zu sein. In unseren mehr als zweijährigen Recherchen über das Problem des letalen Designs sahen wir uns mit dem hartnäckigen Schweigen der Waffenindustrie konfrontiert: Über das durch die neuen Technologien bedingte Geheimnis hinaus scheint es für die Produzenten unannehmbar zu sein, über die Entwicklungen der Funktionalität einer Feuerwaffe zu sprechen. Und auf einer allgemeineren Ebene bleibt es häufig ein Tabu, an die Beziehung zwischen Design und Gewalt zu erinnern. Andere Themenbereiche sind ertragreicher in Sachen Kommunikation: Probleme wie Umweltschutz, soziale Interaktionen oder der Umgang mit Big Data sind lohnender als beispielsweise die Entwicklung einer Waffe, die, ausgestattet mit künstlicher Intelligenz, imstande ist, mittels Gesichtserkennungssystem ihr Ziel zu finden und autonom die Entscheidung zum Schiessen zu treffen.
Eines steht fest: Schusswaffen stossen selten auf Gleichgültigkeit. Nur wenige Objekte lösen so gegensätzliche Gefühle aus, die von tiefster Abneigung bis zu morbider Faszination reichen, wobei unsere Einschätzung oft an den soziokulturellen Kontext gebunden ist, in dem wir aufgewachsen sind. Wie auch immer unser Urteil ausfällt, die Waffe kolonisiert unseren Alltag und unsere Fantasie durch zahllose Bilder und Darstellungen, ob es sich nun um Medien, Filme oder Alltagsobjekte handelt. Abwechselnd ist sie Kriegsgerät, individueller oder kollektiver Aggressionsmechanismus, Symbol für Macht und Gewalt, illegales Handelsobjekt, Produkt von Parallelwirtschaften, aber auch Dekorationselement. Als Bildmotiv agiert sie wie ein Zeichen, das an unsere vergängliche Gegenwart und unsere Hinfälligkeit erinnert.
Die Ausstellung ist in mehrere Abteilungen gegliedert, deren Titel sich eigens auf das Wortfeld der Waffen beziehen, und deren Themen von der Wiederaneignung der legendären AK-47 (Kalaschnikow) durch Designer und Künstler bis zu Arbeiten reichen, in denen die verschiedenen Bestandteile der Feuerwaffen auf überraschende, spektakuläre und engagierte Weise wiederverwendet werden. In der Auseinandersetzung mit Materien, Formen und Genres regt Schusslinie dazu an, sich vertieft mit einem wichtigen und komplexen Gesellschaftsphänomen zu beschäftigen. Sie wird von einer zweisprachigen Broschüre begleitet, die zu jedem Werk nähere Angaben liefert und es in seinen Kontext einbettet.
Den Abschluss des Ausstellungsparcours bildet ein Auskunftsraum, der in Partnerschaft mit der NGO Small Arms Survey konzipiert wurde. Diese Genfer Nichtregierungsorganisation sammelt Angaben über die Zirkulation von Kleinwaffen und die Waffengewalt auf internationaler Ebene.
Die Szenografie wurde von dem Lausanner Architekturbüro T-Rex & Cute Cut entworfen, während Aurèle Sack, Dozentin an der ECAL, für die Grafik verantwortlich zeichnet. Ein reich illustrierter, zweisprachiger
Katalog (F/E) mit Textbeiträgen von Fachleuten, die das Thema aus anthropologischer, kunsthistorischerund naturwissenschaftlicher Sicht behandeln, erscheint anlässlich der Ausstellung.